VON MACHT,OHNMACHT UND BEDROHUNG
DER BESEELTEN.
ZU PETER KÖNIGS LEBENSPANORAMEN
Rainer Beck
1. Zum Charakter des Werks
Das Beeindruckendste an Peter Königs Werk sind
seine grauen Zeichnungen. Es sind dies nicht eigentlich
Zeichnungen, sondern, genau genommen, Gemälde in
Graphit von zum Teil beträchtlichen Ausmaßen
- das größte Einzelformat mißt 150
x 110 cm -, vorbereitet durch eine Vielzahl von kleinen
blauen Kugelschreiberskizzen, die auf ein größeres
Format hochkopiert und dann mit anderen Techniken wie
Öl, Acryl, Kreide oder Buntstift weitergetrieben
werden. Lassen diese Skizzen und Studien noch eine leidenschaftlich
suchende Handschrift erkennen, die den Betrachter teilnehmen
läßt an den Etappen, Variationen, auch Irrwegen
des bildnerischen Erkenntnisprozesses, so zeigen sich
im Gegensatz dazu die Graphitgemälde glatt und
unpersönlich, unnahbar und distanziert, gleichsam
versiegelt durch die fakturlose Perfektion und - man
ist fast geneigt zu sagen: gnadenlose - Präzision
ihrer Herstellung. Man spürt, daß hier ein
festgestelltes Endergebnis vor uns steht, eine wie auch
immer geartete Wahrheit, die ein Eigenleben führt,
der wir nur noch begegnen können, die sich jedoch
in ihrer Gesetzlichkeit unserem Eingriff entzieht.
2.
Die großen Gemälde in Graphit
Übersetzt ins Zeitgenössische erstehen vor
uns neu polartige Panoramen zwischen Leben und Tod,
Licht und Finsternis oder die Vision des Weltgerichts.
Und in diese Themen mit eingeschlossen begegnen wir
immer wieder der den Künstler besonders beschäftigenden
Fragestellung nach Recht oder Unrecht menschlichen Erkenntnisstrebens.
Dürfen wir versuchen hinter die Kulissen der Schöpfung
zu blicken oder bedeutet dieses Essen vom Baum der Erkenntnis
wie bei Adam und Eva den exemplarischen Sündenfall?
2.
1 "Christus und die Pharisäer"
In seinem Triptychon "Christus
und die Pharisäer", 1992/93, gibt König
eine ebenso komplexe wie desillusionierende Antwort
(Abb. 1). Schon das Format der drei Bildteile gibt etwas
wieder von der Dynamik des inhaltlichen Bildgeschehens.
Bei jeweils gleicher Bildhöhe verjüngt sich
die Bildbreite der einzelnen Teile von rechts nach links.
Dieses Verlassen der den Mittelteil betonenden traditionellen
triptychonalen Symmetrie schafft eine drängende
Querbewegung in entsprechender Richtung. Ihr korrespondiert
rechtsseitig eine streng rhythmisch geordnete Phalanx
von Holzpuppen, die ein mächtiges, waagrecht liegendes
Kreuz trägt, und eine im Mittelteil aus Max Beckmann,
Johannes Grützke, Otto Dix und Oskar Schlemmer
bestehende Gruppe von "Pharisäern" vor
sich herschiebt. Die liegende Kreuzesform setzt sich
hier in übersetzter Form als Körpersenkrechte
mit angewinkeltem Arm fort und kulmimiert in einem agressiven
Zeigegestus, der den Händen der Künstler durch
einen extrem überlängten Zeigefinger ein revolverähnliches
Aussehen verleiht. Autobiographisch aktualisiert wird
dieser Vorgang durch eine zweite Handlungsebene zwischen
dem geschilderten Geschehen im Vorder- und einem in
monochromem Grau gehaltenen Hintergrund. Hier vollzieht
sich über der Phalanx der Gliederpuppen und der
Gruppe der Pharisäer-Künstler in drei Stadien
die Entstehung der Persönlichkeit Peter König.
Von Anfang an mit dem gleichen pharisäischen Zeigegestus
arbeitend, erscheint in dieser Zwischenzone dreimal
- der kompositorischen Bewegung entsprechend von rechts
nach links - Königs Kopf, zunächst aus der
Anonymität des Puppenstatus mehr und mehr heraustretend,
dann in unverwechselbarer physiognomischer Identität.
Am Ende steht er zusammen mit Max Beckmann in vorderster
Front der Pharisäer, exakt auf Höhe des Grenzschnitts
zwischen jener dunklen, monochrom-grauen, Gliederpuppen
und Pharisäer gleichermaßen beherbergenden
Hintergrundfläche sowie einer nun anhebenden hellen,
und gemeinsam mit seinen berühmten Künstlerkollegen
deutet er auf den linken, kleinformatigsten Teil des
Triptychons, auf eine in ihrer Stilisierung unnahbar
wirkende Christusfigur, von der diese Helligkeit, entgegengesetzt
zur bisherigen Bildbewegung von links nach rechts ins
Bild stoßend, ausgeht. Selbst Lichtgestalt, hebt
sich Königs Christus von einem sich ebenfalls von
links her entwickelnden, tief schwarzen Bildgrund ab,
der seine scharfe Begrenzung durch jene helle Fläche
erfährt, mittelbar also durch die Christusgestalt.
Zwischen dieser und dem schwarzen Grund steht der Baum
der Erkenntnis, von dem ein Zweig mit hängendem
Apfel und nach oben gerichtetem Blatt symbolhaft ins
Helle ragt. Blatt und Apfel wiederholen in ihrem Streben
nach oben bzw. unten eine weisende Bewegung der Christushände,
welche ihrerseits den Zeigegestus der Pharisäer
aufnehmen und diesem Einhalt gebieten, indem sie ihn
gleichsam spalten. Die kompositorische Querdynamik des
Werks kommt hier zum Stillstand.
Als König dieses Triptychon anfertigte, hatte er
ursprünglich vor, eine Kreuzigung zu schaffen,
um jedoch sehr schnell für sich persönlich
festzustellen, daß solches, so König wörtlich,
"unter zeitgenössischen Bedingungen nicht
mehr möglich" sei. In seiner Darstellung der
Gruppe der Pharisäer solidarisiert er sich deshalb
mit berühmten Malerkollegen, die sich nachweislich
ebenfalls mit dem Thema der Kreuzigung befaßten
und dieses im Endeffekt gänzlich verwarfen oder
aber mehr oder weniger deutlich an seiner Realisierung
scheiterten. Den Gegensatz zu diesen Pharisäerkünstlern
bildet die unbeseelt-anonyme Masse der kreuztragenden
Gliederpuppen, welche als rationale Konstrukte symbolhaft
für ein positivistisches Denken stehen, das ohne
besonderen Tiefgang das Zeichen des Kreuzes einfach
als gegeben akzeptiert. Die Künstler hingegen fragen,
suchen Erklärungen gleich den Pharisäern im
Alten Testament, definieren sich in ihrem Weltverständnis
durch die Art ihrer Fragestellungen und werden so zu
Persönlichkeiten, die sichtbar aus der im Zeitstrom
schwimmenden Masse herausragen. Aber auf ihre Fragen
wird ihnen nicht Antwort, sondern sie erfahren im Gegenteil
die Grenzen ihrer eigenen Erkenntnisfähigkeit,
was in der Konsequenz zu jenem agressiven Zeigegestus
führt, der zum Ziel hat, Gott als dem Schöpfer
der Welt die Schuld für diesen unbefriedigenden
Zustand zu geben. Die in diesem Zusammenhang überlängten
Zeigefinger zitieren Grünewalds berühmten
Johannesfinger aus dem Isenheimer Altar. Aber während
dort der Täufer auf den Gekreuzigten als den Erlöser
deutet, haben die Künstler-Pharisäer bei König
ihre Finger im Zorn erhoben. An Christus jedoch prallt
diese Anklage ab. Er macht vielmehr den Scheideweg deutlich,
vor dem die Pharisäer stehen. Der Glaube führt
nach oben ins Licht, das Beharren auf der eigenen Ratio
hinab ins Dunkle. Als einzige nicht monochrom gehaltene
Fläche vollzieht der helle Hintergrund durch seine
Aufteilung in eine lichtere und eine dunklere Sphäre
diesen Sachverhalt nach und illustriert somit die Perspektive,
vor die Christus jeden der Pharisäer stellt: Was
bleibt, ist der Glaube. So sie sich diesem verweigern,
werden sie perspektivlos ins Schattenreich der Gliederpuppen
zurückfallen. Im Endeffekt verlangt Gott also die
unbedingte, glaubende Unterwerfung. Diese Forderung
vermögen jedoch nur die Pharisäer als Fragende
zu erkennen, wozu ein Gliederpuppentypus niemals in
der Lage sein wird. Soweit der komplexe Gehalt dieses
Bildwerks, das im Endeffekt eine Art Weltgericht darstellt,
auf dem sich die Menschen Kraft ihrer Entscheidung für
oder gegen den Glauben selbst richten.
2.2
Die Serie "Leben und Tod"
2.2.1 Im Triptychon "Christus
und die Pharsäer" konnten wir in Peter
Königs Werk erstmals die grundsätzliche Unterteilung
der Menschen in zwei Typen beobachten: in bewußt
und bewußtlos Handelnde, also Fragende oder Mitläufer
im Zeitstrom, im Ergebnis: Beseelte oder Unbeseelte.
In seinem zweiten großen Triptychon "Leben
und Tod", 1995, geht er dieser Problematik
weiter nach (Abb. 2). Es besteht aus drei gleich großen
Teilen, weicht also wiederum von der traditionell vorgegebenen
triptychonalen Symmetrie ab. Was König uns hier
zeigt, ist ein theatrum mundi, das Welttheater aus seiner
Sicht.
Die Außenseiten dieses Triptychons werden thematisch
von den Polen des Weltkreislaufs beherrscht, von Leben
und Tod. Rechts der knochenschädelige Tod in schwarzer
Henkerskutte, links die lichterfüllte Gestalt des
Lebens, eingehüllt in einen von oben kommenden,
zeltartig anmutenden Mantel, der durch einen spätgotischen
und über Helligkeitsreflexe modulierten Faltenwurf
akzentuiert wird. Auf beiden Bildteilen dominieren die
stark überdimensionierten Schädel, wobei das
Antlitz des Lebens, durch Stilisierung und indianische
Zopffrisur verfremdet, das Gesicht von Flores König,
der Gattin des Künstlers wiedergibt. Leben und
Tod halten ein schwarzes Tuch, das sich quer durch den
Mittelteil des Triptychons spannt und den dunklen Vorder-
vom hellen Hintergrund scheidet. Sie wirken dadurch
kompositorisch als begrenzende Pfeiler, die einen Bühnenraum
freigeben, auf dem sich das eigentliche Geschehen abspielt.
Das inhaltlich und zum Teil auch optisch nach den Köpfen
nächstwichtige Element der Aussenteile sind die
gleichfalls stark überdimensionierten Hände
von Leben und Tod, von denen die tuchhaltenden wie architektonische
Klammerkonstruktionen wirken. Auffallend ist, daß
beide Hände des Todes von undefinierbarer geschlechtsspezifischer
Neutralität sind, während die tuchhaltende
Hand der Lebensgestalt männlicher, die andere,
zum Segensgestus erhobene hingegen weiblicher Natur
ist. Die Hände des Todes unterscheiden sich nur
durch ihre Funktion, die bereits erwähnte und eine
- bildinhaltlich höchst bedeutsam - schiebende.
Kaum sichtbar am rechten Bildrand schiebt nämlich
der Tod mit seiner linken Hand in dunklem Grau gehaltene
und durch Masken sowie an Ritterrüstungen gemahnende
Helme anonymisierte Menschen ins Weltgeschehen der Bildmitte.
Wie vordem im Triptychon "Christus und die Pharisäer"
die Gliederpuppen, so marschieren auch diese in streng
rhythmisch geordneter Phalanx. Sie marschieren quer
durch alle Bildteile auf die Gestalt des Lebens zu,
unter deren Segenshand hindurch und verschwinden im
zeltartigem Mantel, um auf der Höhe der Segenshand,
mithin auf einer zweiten, höheren Bildebene in
entgegengesetzter Richtung mit erhelltem Inkarnat und
durch die Differenzierung von Gesicht und Händen
als Individuen identifizierbar wieder aufzutauchen.
Sie blasen jetzt gemeinsam auf kunstvoll geformten Blasinstrumenten,
die mehrere Mundstücke aufweisen, und schreiten
wieder zurück in Richtung Tod. Man erkennt von
links nach rechts: Stirn und Nase eines gerade hinter
der Gestalt des Lebens hervorkommenden Verwandten des
Künstlers, dann das Gesicht von Albert Mergentheimer,
des bekannten holländischen Galeristen und Sammlers
um die Jahrhundertwende, danach Königs Frau Flores,
Pablo Picasso, Königs Sohn Pablo, König selbst,
zwei nicht näher zu bestimmende und zum Teil verdeckte
Phantasieköpfe, schließlich Otto Dix und,
da teilweise von diesem verdeckt, die hohe Stirn, Ohr
und Hals von Oskar Schlemmer. Sie alle streben einer
torartigen Öffnung zu, gebildet durch das schwarze
Tuch sowie Arm und Leib des Todes, gleichsam eine Art
Pforte, die zwischen Tuch und Tod hindurch in die helle
Hintergrundzone führt. Oskar Schlemmer befindet
sich gerade im Begriff, in diese neue Sphäre einzutreten,
die dritte, entfernteste und letzte Bildebene des Triptychons.
Dem von ihr ausgehenden Eindruck einer großen
undefinierbaren Ferne kontrastiert in größtmöglicher
Betrachternähe am unteren Bildrand, exakt auf dem
Schnittpunkt zwischen rechtem und mittlerem Bildteil,
ein Reiter in Militärkluft auf einem straff gezügelten
Esel. Über dessen Mähne steht senkrecht ein
Palmblatt, dessen Spitze exakt bis an den Rand des schwarzen
Tuchs und damit an den Beginn der hellen Hintergrundsphäre
heranreicht.
Im Unterschied zu seinem Vorgängerwerk läuft
das Bildgeschehen in Königs Triptychon "Leben
und Tod" nicht in einer einseitig gerichteten
Querbewegung ab, sondern als auf zwei Bildebenen gelagerter
Kreislauf Tod-Leben-Tod, dem dann ein Abtreten der Lebenden
in eine nicht näher spezifizierte Sphäre des
Lichts folgt. Sofort irritiert, daß es der Tod
sein soll, der die Menschen in einen solchen Lebenskreislauf
schiebt. Doch König argumentiert: "Der Tod
ist nur ein Übergangsstadium. Ohne Tod kein Leben.
Ohne Geburt kein Tod. Ohne Tod keine Wiedergeburt."
Im Kreislauf selbst findet - visuell nachvollziehbar
durch die wechselnde Tönung des Inkarnats - der
Gang der Menschen durch das Dunkel des Lebens zum Licht
statt, was soviel meint, wie deren Erhellung durch das
Leben, ihre Metamorphose von bewußtlosen zu bewußten
Persönlichkeiten, von der Anonymität zur Identität,
zur Beseelung. Sie sind jetzt fähig zu Leidenschaft,
Gefühlen und musischem Handeln. Dafür stehen
die von ihnen betätigten Musikinstrumente. Aber
sie können dennoch eine grundsätzliche Gleichförmigkeit
nicht abstreifen. Dafür wiederum steht die rhythmisch
strenge Anordnung ihrer Köpfe und Hände sowie
deren gleiche Höhe, vergleichbar der Isokephalie
in mittelalterlichen Bildwerken, schließlich das
gemeinsame Blasen ein und desselben Instruments über
mehrere Mundstücke. Die ungewöhnlichen und
kunstvollen Formen dieser Blasinstrumente, wie übrigens
auch jene der Helme und Masken sind ohne tiefere Inhaltlichkeit,
sondern Zugeständnisse Königs an die durch
Besuche im Germanischen Nationalmuseum zu Nürnberg
angestachelte artistische Lust. Die Darstellung einer
gewissen Gleichheit hingegen zielt auf die gesellschaftliche
Vernetzung des Menschen und die Tatsache, daß
dieser sich als soziales Wesen nur in der Gemeinschaft
voll entfalten kann. Soll dies gelingen, setzt das,
wie wir sahen, den langen Weg vom Dunkel ins Licht voraus.
Ihn zu bewältigen, braucht man die Tugend der Geduld.
Für sie steht der Esel und für die zu ihrer
Erlangung notwendige Disziplin der ihn reitende Soldat.
Das über der Mähne befindliche Palmblatt deutet
darüberhinaus ins Religiöse: Der Esel ist
auch Palmesel und die Tatsache, daß das Blatt
exakt die Länge des schwarzen Tuchs ausmißt,
macht dieses zu mehr als nur zu einer Hintergrundfolie.
Von der Gestalt des Lebens ausgehend und deutlich vor
der des Todes endend, ist es das Tuch des Lebens, auch
wenn es in der Farbe des Todes, Schwarz, gehalten ist.
Aber es ist nicht nur ein allgemeiner Tod, der hier
gemeint ist, sondern auch der Tod Jesu und deshalb handelt
es sich um das Schweißtuch Jesu Christi. Peter
König hat auf ihm nicht das Antlitz Christi abgebildet,
sondern diejenigen, für die er gestorben ist, die
Menschen. Und exakt dort, wo das Tuch vor dem Antlitz
des Todes abbricht, öffnet ihnen sein Tod das Tor
zum Licht. Was dann hinter dem Tor geschieht, bleibt
offen. König: "Wir können nicht mehr
sehen, was weiter geschieht. Das Diesseits, mit all
seinen Möglichkeiten, findet keine Möglichkeit
im Jenseits. Das bleibt für den Betrachter verschlossen.
Der Schleier der Maja."
Anlaß für die Entstehung des Triptychons
war ein bis zum heutigen Tage nicht eingelöster
Auftrag für ein Fresko in der evangelischen Kirche
St. Markus zu Fürth-Oberasbach.
2.2.2 Zwei "Leben
und Tod" nachfolgende Diptychen befassen
sich verstärkt mit den diesseitsbezogenen Aspekten
dieses übergreifenden Themas. Sie dringen somit
"zoomartig" nur in Teile des im Triptychon
entworfenen Universums ein. Es sind dies "Ouvertüre",
1996, und "Der Tod-Macher",
1997.
In "Ouvertüre"
begegnet uns wieder der schon bekannte Gegensatz zwischen
ausgeprägter Individualpersönlichkeit und
bewußtlosem Massenmensch (Abb. 3). Und wie immer
erscheinen die einen als vollwertig entwickelte Menschen,
die anderen hingegen als anonym-synthetische Konstrukte
aus organischen und technischen Versatzstücken.
Erstere sind einem rechten, helleren Bildteil zugeordnet,
Letztere einem dunklen linken. In dieser erneuten Gegenüberstellung
von Licht und Finsternis treffen wir wiederum auf die
Pole von Leben und Tod. Von links oben stößt
in der gewohnt rhythmisch strengen Ordnung die Phalanx
der Behelmten angriffslustig aus dem Dunkel in das Licht
des rechten Bildteils, und wird dort von zwei Beseelten
entsprechend "empfangen". Deren Waffen sind
von anderer Art als die der Krieger. Es sind dies Blasinstrumente,
mit denen die eindringenden Agressoren einfach umgeblasen
werden. Was hier stattfindet, ist der Kampf des Geistes
gegen den Ungeist, des handelnden Bewußtseins
gegen das blind Animalische, der Kampf der schöpferischen
Intellektuellen gegen die Agression einer anonymen,
steuerbaren Masse instrumentalisierter Krieger. Zwar
siegt am Ende der Geist, doch um den Preis, daß
er, um zu siegen, das tun muß, was das Ziel des
Ungeists war: Er ist gezwungen, den Gegner zu töten.
Die Situation gleicht also jener in der griechischen
Tragödie. Es ist ein Konflikt ohne Ausweg und am
Ende siegt immer der Tod.
2.2.3
Konsequent verfolgt König in seinem nächsten
Diptychon "Der Tod-Macher"
diesen Gedanken weiter (Abb. 4). Es verkörpert
das Ende vom Lied seiner Betrachtungen zum Thema "Leben
und Tod". König hat sich hier in den
innersten Bezirk der dunklen Todeszone vorgewagt, in
die Produktionszentrale der vielen individuellen Tode,
die sich aus der allgemein geltenden Todesgesetzlichkeit
ergeben. Diesen Sachverhalt meint inhaltlich der Bildtitel
des Diptychons, nicht tot machen, sondern die Produktion
lauter individueller Tode, gleichsam Folgeerscheinungen
des einen allgemeinen Existentialgesetzes, die zur gegebenen
Zeit jedes einzelne Individuum aufsuchen. Diese Tode
entstehen demnach als Ableger und Helfer des großen
Tods, der als furchteinflößende, organisch-technisch-gestalthafte
Produktionsmaschine fast die ganze rechte Bildhälfte
des Diptychons ausfüllt. Dabei ist überraschend,
daß uns der Einblick in das Produktionsgeschehen
selbst durch die noch zu erörternde Beschaffenheit
dieser Gestalt verwehrt wird. Wir erblicken lediglich
auf der linken Bildhälfte die Rückkehr bereits
produzierter kleiner Tode nach getaner Arbeit, auch
sie im Habitus der anonym Behelmten und in der gewohnt
militärischen Ordnung. Sie sind bewaffnet mit Kupplungen
und Bremszügen, über die sie die Geschwindigkeit
der von ihnen ausgelösten Todesfälle reguliert
haben. Am oberen Bildrand, über den Köpfen
der kleinen Tode sind zusätzlich, vom großen
Tod mit giftigen Auspuffgasen gespeist, Armaturen und
Druckmesser zu sehen, die von links nach rechts mit
aufsteigender Tendenz die Phänomene Licht, Leben,
Dunkel und Tod anzeigen und mit deren Hilfe es den Rückkehrern
möglich war, die Ergebnisse ihrer Arbeit zu kontrollieren.
Wobei festzuhalten ist, daß die letzte dieser
Armaturen mit jenem Druckmesser, der den Tod anzeigt,
sich bereits in der oberen linken Ecke des rechten Bildteils,
also über der Gestalt des großen Tods befindet.
Offenbar behält sich der große Tod die letzte
Kontrolle über das, was er verkörpert, selbst
vor, und so streben auch die kleinen Tode, die in seinen
Bauch zurückkehren, einem ungewissen Schicksal
entgegen. Die Einsicht in das, was sie dort erwartet,
ist ihnen aufgrund einer riesigen, stark verwesten Hand
unmöglich, die einerseits Gashebel und Gangschaltung
des motorartigen Todeskörpers bedient, in zweiter
Absicht jedoch als abschirmender Sichtschutz für
dessen Binnenkonstellation und gegen die kleinen Tode
fungiert. So entsteht unwillkürlich der Eindruck,
daß diese, ohne es zu wissen, ihrer eigenen Vernichtung
entgegenstreben, einer Art Gefressen-Werden durch den
großen Tod. Auch für den Betrachter bleibt
die Frage nach deren Schicksal offen, denn eine eventuell
Aufschluß gebende Mimik des Todesantlitzes wird
unter einem großen Helm verborgen. Ebenso steht
es mit der Gebähr- oder Entsehungskammer der kleinen
Tode. Auch hier schirmt eine verwesende Hand am rechten
Bildrand die Produktionszone gegen den Betrachter ab.
Der große Tod also wahrt das Geheimnis seiner
Existenz eifersüchtig und beläßt uns
in der Unsicherheit des von ihm mitgestalteten Lebenskreislaufs.
3.
Königs gleitendes Formalsystem
3.1
Aesthetischer Ansatz
Zweifellos markieren die großen Gemälde in
Graphit, deren großformatigstes in seiner triptychonalen
Gesamtheit immerhin 150 x 330 cm mißt, den bisherigen
Höhepunkt in Königs Werk. Mit seiner eigenwilligen
Symbolik und dem von ihm entworfenen Universum erfaßt
er nicht einfach den Gegenstand auf der Basis eines
von naturalistischer Beobachtung genährten Realismus,
sondern er weist den Dingen ihren Platz nach Maßgabe
seines eigenen Denksystems zu. Königs Kunst ist
somit auf aktueller zeitgenössischer Basis eine
ausgeprägte Ideakunst, eine Kunst, die gerade nicht
von der angeblich "objektiven" Wahrnehmung
des Gegenstands ausgeht, sondern auf dem Wert der subjektiven
Vorstellung beharrt. Federico Zuccari, der berühmte
italienische Manierist des 16.Jahrhunderts hätte
in diesem Zusammenhang sicherlich von "disegno
interno", von einer Art "innerer Zeichnung"
gesprochen,die, vergleichbar einem Spiegel, "Vorstellung
und Gegenstand des Sehens" in einem sei.
3.1
Stil
Es ist also nicht so sehr die sinnliche Wahrnehmung
als vielmehr die geistige Vorstellung, welche sich der
sinnlichen Wahrnehmung in verfremdender Weise bedient,
die Königs Arbeitsweise prägt. Dabei zelebriert
er die Schärfe der Linie sowie eine damit verbundene
Linearität und nimmt dafür die Erstarrung
der lebendigen Form in Kauf; ja nicht selten steigert
er sogar noch diesen Effekt, indem er die organische
Form geometrisiert. Hinter diesem Vorgehen steht die
Erfahrung eines jahrelangen und ausgiebigen Anatomiestudiums,
seine Auseinandersetzung mit Klassikern der Proportionslehre
wie Polyklet, Leonardo, Michelangelo und Dürer,
aber auch mit zeitgenössischen Anatomielehren wie
der von Gottfried Bammes. Königs Bekenntnis am
Ende dieser Studien lautete: "Ein Körper ist
automatisch schön, wenn er funktioniert."
Auf dieser Basis dann hat er ein geometrisches System
entwickelt, das es ihm erlaubt, konstruktives Denken
mit der sinnlichen Wahrnehmung der naturhaften Erscheinungsform
zu verbinden, nicht selten sogar zu verschmelzen. Dabei
hängt es vom Grad der Geometrisierung seiner Gestalten
ab, ob sie lebensnah, stilisiert oder sogar künstlich
wirken. Den Inhalten und Typisierungen seines künstlerischen
Ansatzes entsprechend, hat König hier ein gleitendes
formales System entwickelt, das es ihm gestattet, die
Bandbreite seiner Ideen und Visionen voll auszuschöpfen.
In dieses System eingeschlossen sind auch die Fragen,
ob er seine Figuren betont plastisch gibt oder sie in
der Fläche beläßt, ob er sie deformiert,
in ihrer Proportion verändert oder lebensnah abbildet,
ob er ihnen eine übertriebene oder sparsame Gestik
verleiht, ob er kalte oder warme Farben benutzt. König
spielt mit diesen formalen Möglichkeiten wie auf
einem Klavier, im Handwerklichen fast unerreichbar perfekt.
Seine Formen erreichen dabei eine Spannung, wie sie
der Freiheit und Gelöstheit eines klassischen Kunstverständnisses
absolut fremd sind. Dieser Spannung in der Einzelform
entspricht jene der Gesamtkomposition, der komplizierte
Aufbau seiner Bilder, deren die Raumzusammenhänge
verunklarende Überfülle und deren ungewöhnliche
Axialverläufe.
Königs Kunst versucht gerade nicht, verbindliche
canonices im Sinne exakter Abbildhaftigkeit oder idealisierter
bildnerischer Bedeutungsmuster einzuhalten. Das Gegenteil
ist der Fall. Sie ist insofern auch formal nicht nur
eine hoch artifizielle sondern auch eine hoch individualistische.
Sie ist das, was man in der Aesthetik als "antiklassisch"
bezeichnet. Trotzdem verrät jedes Detail die intensive
akademische Schulung und doch nimmt König sich
die Freiheit, laufend gegen deren Regeln zu verstoßen.
Er tut dies mit der Souveränität dessen, der
sich ihrer Beherrschung sicher ist, dieser Sicherheit
aber nicht mehr bedarf. Stattdessen pflegt er seine
intellektbetonte Freude am übersteigerten Gedankenspiel
und treibt es nicht selten ins Groteske und Dämonische.
Seine Phantasie ist häufig extrem bis hinein ins
Häßliche und Grausame, bis hin zum Spiel
mit dem Entsetzen oder übertriebener Schönheit.
Sein Stil beinhaltet eine übersteigernde Artistik,
der es jedoch immer wieder gelingt, die ins Extrem getriebene
Poligkeit seiner Lebenspanoramen über das künstlerische
Handeln in einen kompositorischen Gesamtzusammenhang
zu zwingen. Gustav René Hocke hätte König
sicherlich, so er ihn gekannt hätte, der Gruppe
seiner Neo-Manieristen einverleibt.
Unabhängig von allen stilistischen Einordnungsversuchen
bleibt Peter Königs zentrale künstlertische
Botschaft jedoch eine inhaltliche: Es sind nur die Beseelten,
die fragenden Intellektuellen, in der Regel die Aussenseiter
ihrer Gesellschaft, die überhaupt in der Lage sind,
die Sinnfrage zu stellen. Schon in seinem Frühwerk,
während seiner anatomischen Studien, suchte er
nach jenen individuellen Spuren im Antlitz der Toten,
die ihnen über ihre allgemeine physiognomische
Beschaffenheit hinaus verblieben (Abb. 5, 1983) oder
er setzte Aussenseitern wie seinem Lehrer Günther
Voglsamer ein von diesem wahrscheinlich unverstandenes
Denkmal, als er diesen 1984 vereinsamt als Stadtstreicher
vor einem erleuchteten Schaufenster darstellte (Abb.
6). Die Summa seiner Erfahrungen und Einsichten hat
Peter König nun in der ersten Reife seines Werks
zusammengefaßt.